Im Gespräch: Sabine Siebold, Ärztliche Leiterin der Gynonkologie
Seit Anfang 2021 bietet das medicos.AufSchalke Frauen, die unter einer gynäkologischen Krebserkrankung leiden, die Möglichkeit für eine gynonkologische Rehabilitation – und zwar ambulant. Das ist ein in der Region außergewöhnliches Angebot. Die Ärztliche Leiterin der Gynonkologie, Sabie Siebold, stellt sich und ihren Fachbereich vor.
medicos.Magazin (m.M): Frau Siebold, Sie sind Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, aber auch Psychoonkologin. Wie war Ihr beruflicher Weg und passen diese beiden Fachbereiche zusammen?
Sabine Siebold (S.S.): Nach dem Medizinstudium habe ich meinen Facharzt in Gynäkologie und Geburtshilfe gemacht. Dann habe ich lange als Ärztin, auch Oberärztin in diesem Bereich in einem Krankenhaus gearbeitet. Im Laufe der Zeit habe ich aber gemerkt, dass die Notfallmedizin nicht meine Stärke ist. Stattdessen bereitete es mir von Anfang an Freude, Frauen von der Diagnose über die notwendigen Akuttherapien bis in die Nachsorge zu begleiten. Aus diesen Gründen spezialisierte ich mich im Bereich Senologie (Senologie betrifft alle Erkrankungen der Brust, Anmerk. der Redaktion) und arbeitete lange in Brustzentren. Im Rahmen dieser Arbeit wuchs in mir der Wunsch, auch die psychologische Betreuung von Patientinnen zu intensivieren. Daher habe ich eine 1,5 Jahre dauernde verhaltenstherapeutische Ausbildung in der Psychiatrie und eine berufsbegleitende psychoonkologische Ausbildung gemacht. Das erworbene Wissen habe ich dann wieder im Brustzentrum einsetzen können.
m.M: Sie messen der psychologischen Betreuung von onkologischen Patentinnen ja eine große Bedeutung bei. Warum ist diese in Ihren Augen so wichtig?
S.S.: Für die meisten ist die Diagnose einer bösartigen Erkrankung ein Schock. Die Zeit der Diagnostik und die Verarbeitung sind eine große Herausforderung. Mir wurde immer wieder deutlich, die gute medizinische Leistung ist nicht nur eine Frage des gut gemachten Ultraschalls, sondern auch eine Frage der Beratung, des Auffangens von Ängsten. Welch große Rolle Ängste spielen sehen Sie z.B. daran, dass viele Frauen in der Nacht vor einer anstehenden Nachsorgeuntersuchung noch Jahre später sehr schlecht schlafen. Sie haben solch eine große Rezidivangst, also Angst vor einem Rückfall. Auch die langen adjuvanten Therapien, die ja teilweise bis zu 10 Jahre dauern, haben Auswirkungen auf die Psyche. Man muss sich vorstellen, dass viele Leute über zehn Jahre jeden Morgen diese Tabletten nehmen müssen und durch Nebenwirkungen belastet sind. Sie werden zudem jeden Tag aufs Neue an ihre Erkrankung erinnert. Für sie ist es wichtig, einen Umgang damit zu finden und auch Vertrauen in den Körper zurückzubekommen.
Schon während meiner Tätigkeit im Brustzentrum habe ich gemerkt, dass ich Frauen auch psychologisch gut in einer Erkrankungsphase begleiten kann und dort abholen kann, wo sie stehen. Man erreicht hier sicher auch schon viel durch eine grundsätzlich empathische Haltung den Frauen gegenüber Mit der psychotherapeutischen Weiterbildung habe aber ich das Ganze auf solide Füße gestellt und mir gutes Handwerkszeug dafür angeeignet.
m.M: Wie war Ihr Weg ins medicos?
S.S.: In meiner früheren Klinik gab es große Umbrüche und Umstrukturierungen. Darum habe ich auch eine persönliche Neuausrichtung in Betracht gezogen und bin mit Dr. Herrmann, dem früheren Leiter der Psychosomatik hier im medicos, ins Gespräch gekommen. Damals gab es hier die Idee, eine Psychoonkologie aufzubauen. Das hat mir sehr gut gefallen und war für mich ein guter Grund ins medicos zu kommen. Im Verlauf veränderte sich die Idee und wir haben uns entschieden, nicht innerhalb der Psychosomatik eine Gruppe anzubieten, sondern wir orientierten uns an dem Konzept der Uroonkologie. So ist die Abteilung für Gynonkologie entstanden.
m.M: Was sind die Inhalte und Schwerpunkte einer gynonkologischen Reha?
S.S.: Zunächst hören wir gut zu und machen uns ein genaues Bild, welche Beschwerden als Folge der Erkrankung oder Therapie vorliegen. Es stehen also in zunächst körperliche Probleme im Vordergrund. Mit dieser Intention kommen die meisten Patentinnen auch zu uns. Sie wollen erstmal die körperlichen Probleme angehen, also zum Beispiel Probleme in der Schulter-Arm-Beweglichkeit, Schwierigkeiten im Genitalbereich oder die doch gesamt geminderte Leistungsfähigkeit. Manchmal nimmt auch die kognitive Leistungsfähigkeit bei onkologischen Patienten ab. Das alles findet in der onkologischen Rehabilitation – egal ob stationär oder ambulant – Berücksichtigung.
Wir machen allerdings sehr häufig die Erfahrung, dass viele unserer Patientinnen bei genauerer Nachfrage realisieren, dass auch ihre Psyche „was abgekriegt“ hat. Für mich war es anfangs eine Überraschung, dass mir viele Frauen im Nachhinein sagten, „Mir war gar nicht klar, dass ich emotional und psychisch so belastet bin“.
Ein besonders eindrückliches Beispiel war eine Patientin, die mir bei der Aufnahme sagte: „Ich habe damit gerechnet, dass ich krank werde. Ich wusste, ich habe den Gendefekt und mir war klar, dass es mich irgendwann trifft.“ Sie wirkte vollkommen abgeklärt.
In einer unserer ersten Gesprächsgruppen haben wir dann über Stress gesprochen. Fragestellungen wie „Woran erkenne ich, dass ich Stress habe?“ und „Was sind meine Stresssymptome?“ Die haben wir gemeinschaftlich zusammengetragen. Als ich mich umdrehte und zur Gruppe schaute, saß diese Patientin weinend da. Sie war vollkommen aufgelöst. Auf meine Frage, was passiert sei, sagte sie: „Ich dachte, ich habe alles gut verpackt. Aber wenn Sie das jetzt so auflisten, dann sehe ich, dass ich maximal gestresst bin.“ Das brach förmlich aus ihr heraus.
m.M: Was geschieht in so einem Fall mit der Patientin? Ändert sich der Therapieansatz?
S.S.: Ja und nein. Was den allgemein onkologischen Teil der Reha angeht bleibt es natürlich bei den Inhalten, die ja auch bei psychischer Komorbidität wichtig sind. Aber durch die Vielzahl der Angebote, die medicos.AufSchalke bietet können wir dann gezielt das Therapiespektrum erweitern. Bei der Patientin, über die wir soeben gesprochen haben, war es so, dass wir ihr zusätzlich Angebote für die psychische Unterstützung gemacht haben, die sie gerne und erfolgreich angenommen hat. Hier kommt dann auch ein Vorteil der ambulanten Rehabilitation zum tragen, dass wir, wenn gewünscht und sinnvoll auch Angehörige in den Therapieprozess einbinden können.
m.M: Wie ist die Akzeptanz für psychologische Unterstützung?
S.S.: Ganz grundsätzlich gibt es unter unseren Patientinnen eine sehr große Offenheit für diese Angebote. Es ist ja nicht so, dass wir den Leuten eine Psychotherapie aufdrängen. Unsere Angebote für Unterstützung betreffen Bereiche wie Zeitmanagement, Stressmanagement, einen kleinen Notfallkoffer erstellen. Ganz niedrigschwellig. „Was mache ich, wenn ich mich mal richtig schlecht fühle? Wie sieht ein Wohlfühl-ABC aus?“.
Eine gute Übung, die Sie mal in Ihrem Freundeskreis machen können. Fragen Sie die Leute ganz spontan, welche 10 konkreten Dinge ihnen guttun. Sehr häufig erhält man als Antwort nur dann nur drei oder vier Sachen. Viele Menschen wissen gar nicht mehr, was ihnen gut tut oder wie sie sich selbst eine Freude machen können
Wir arbeiten viel mit der Akzeptanz-Commitment-Therapie – ich schaue mir die Situation an und akzeptiere sie, wie sie ist. Wichtig ist hierbei aber, dass Akzeptanz nicht mit Resignation verwechselt werden darf. Eine Situation erst einmal annehmen und den Augenmerk darauf zu lenken, was geht gerade gut, statt auf was geht gerade nicht mehr so gut, kann eine große Entlastung bringen. Ich ackere mich nicht daran ab, dass bestimmte Leistungen nicht so erbringen kann, wie vor der Erkrankung. Da kann man in drei bis vier Wochen schon einiges erreichen und Menschen voranbringen. E sind allgemeine, praktische und lebensnahe Tipps. Die Rückmeldungen sind sehr gut.
m.M: Wann kann man eine gynonkologische Reha machen?
S.S.: Die Möglichkeit für eine Reha besteht direkt im Anschluss an eine Erkrankung und Therapie, aber auch nach einigen Monaten besteht noch die Option für eine Reha. Vielen Frauen wird zusätzlich ein Jahr nach der Erkrankung eine erneute Rehabilitation bewilligt. Dies ist ein weiterer guter Zeitpunkt. Viele kehren nach einer Erkrankung in ihren Alltag zurück und haben erst einmal die Intention, dort anzuknüpfen, wo sie vorher waren und das selbe Pensum zu bewältigen. Die Belastbarkeit kann aber reduziert sein. Kann es schnell zu Erschöpfungszuständen, Unzufriedenheit oder psychischen Symptomen kommen. Zu diesem Zeitpunkt liegt der Schwerpunkt der Rehabilitation darauf, erneut das „Akku aufzuladen“ und gleichzeitig die Frauen zu unterstützen, gewünschte Veränderungen dauerhaft umzusetzen.. Viele sind damit ausgelastet zu arbeiten, den Haushalt zu machen, nach den Kindern zu schauen oder Angehörige zu pflegen. Sport, Selbstfürsorge und eine gesunde Ernährung kommen oft zu kurz.
Oft kämpfen Frauen auch mit den Nebenwirkungen der adjuvanten Therapien wie Gewichtszunahme, Fatigue-Syndrom oder Sensibilitätsstörungen.
Viele kommen mit der Idee in die Reha, wir machen sie fit für ihr Alltagspensum. Wir hoffen, dass wir durch die Reha und die mögliche anschließende Nachsorge „IRENA“ deutlich machen können, dass Selbstfürsorge dauerhaft auch im Alltag wichtig und gut ist.
m.M: Sie sprechen es gerade an: Nachsorge. Die Reha muss also nach drei Wochen nicht vorbei sein?
S.S.: Wir bieten unseren Patientinnen im medicos nicht nur drei Wochen Reha an, sondern haben auch die durch die Kostenträger befürworteten und geförderten Nachsorge-Gruppen. Dies sind Angebote für jederRehabilitandin – egal, ob ambulant im medicos oder aus einer stationären Reha in einem anderen Haus. Diese Nachsorge-Angebote gehen in der Regel über sechs Monate und bieten bei ein bis zwei Terminen wöchentlich die Möglichkeit, die Reha-Inhalte zu vertiefen und zu festigen. Die Reha bietet die Möglichkeit, erste Ideen, Ansätze zu finden und dann gibt es im Rahmen der Nachsorge ein halbes Jahr die Möglichkeit, regelmäßige Termine für Selbstfürsorge wie Sport und Entspannung einzuplanen. Das ist schon eine gute Unterstützung.
Das Gespräch führte Nina Stiller-Peters am 04.08.2021