08.06.2022

Ein Herz für den Sport - Sport fürs Herz

Dr. Svenja Reich, Kardiologin und Sportmedizinerin im medicos.AufSchalke, erläutert im Gespräch, warum Herzsport und ein Sportherz zusammengehören und warum der Kardiologe nicht erst Anlaufstelle sein sollte, wenn das Herz schon krank ist.

Die Kardiologie als Behandlungsort nach einem Herzinfarkt oder bei anderen Herzerkrankungen kennen die meisten. Welche Rolle spielt die Kardiologie im Sport?

Dr. Svenja Reich: Sport und Kardiologie gehören direkt zusammen, und zwar auch wechselseitig: Wir sagen immer „Herzsport“ oder „Sportherz“ – kann man so oder so rum betrachten.
Wir beraten und behandeln Sportler, die eine kardiologische Erkrankung haben. Bei ihnen ermitteln wir, ob sie Leistungssport machen dürfen und in welchem Rahmen. Oder ob sie vielleicht Sport im Freizeitbereich machen sollten. Wie darf dann die Belastung aussehen – und vor allem: Wie sollte die Belastung aussehen?

Dann gibt es die Menschen, die eine Herzschwäche haben und für die Sport ein Teil der Rehabilitation ist. Früher hat man Menschen mit einer Herzschwäche ins Bett gelegt - Schonung war die oberste Maßgabe. Und das ist bis heute in den Köpfen. Studien zeigen uns aber etwas ganz anderes: Egal wie schwer die Herzschwäche ist, die Leute sollten sich bewegen. Unsere Ansage lautet: „Bewegung, Bewegung, Bewegung“. Studien haben eindeutig gezeigt, dass die Prognosen erheblich besser sind, wenn die Leute sich kontrolliert belasten. Der Körper ist im Stande sich da anzupassen. Und diese Anpassungsmechanismen erhöhen die Leistungsfähigkeit. 

Unsere Aufgabe als Kardiologen ist es bei herzkranken Patienten, mit ihnen gemeinsam zu ermitteln: Wie kannst du dich bewegen, wie kannst du dich belasten? Wir lernen gemeinsam Strategien, die beispielsweise unterstützen, wenn der Patient bei Belastung noch Luftnot hat. Aber der dringende Appell an Herzkranke: Bitte leg dich bloß nicht ins Bett!

Ansonsten ist die Kardiologie im Sport auch präventiv zu sehen. Sportler, die beispielsweise ihren Leistungsumfang steigern wollen, wie z.B. Läufer, die einen Marathon anstreben, sollten – auch wenn sie subjektiv keine Anzeichen für eine Erkrankung wahrnehmen – ihre Sportgesundheit untersuchen lassen. Oder auch Menschen, die nach längerer Pause wieder mit dem Sport beginnen möchten: Bitte vorher eine Sporttauglichkeitsuntersuchung machen und ausschließen, dass es Risikofaktoren gibt und wie dann der Umgang damit ist. Manche Gesetzlichen Krankenkassen unterstützen diese Untersuchungen sogar im Rahmen ihrer Bonusprogramme, so dass die Kosten hierfür überschaubar bleiben.

Und welchen Einfluss hat Angst?

Dr. Svenja Reich: Die Angst hat einen großen Einfluss. Wenn jemand einen Herzinfarkt hatte oder reanimiert worden ist, dann kommen die Menschen aus der Klinik häufig erst nach Hause, bevor sie zu uns in die Reha kommen. Und ganz häufig hören wir, dass sie da Angst hatten, weil sie nicht wussten, was sie tun durften und was nicht. Wir bringen sie hier in die Bewegungstherapie und viele sind oft sehr erstaunt, was sie doch alles können. 20 Minuten Fahrrad fahren etwa. Wir müssen sie oft gar nicht motivieren, sie sind nur sehr zurückhaltend, weil sie eben Angst haben: Wie darf ich mich nach einer Operation bewegen? Reißt vielleicht die Narbe oder löst sich ein Stent? Unter unserer Anleitung beginnen sie sich zu bewegen und auszuloten, welche Leistungsfähigkeit sie haben. Das Selbstvertrauen bekommen sie durch Machen zurück. Es gibt nur ganz wenige Erkrankungen, bei denen Bewegung gar nicht gut ist.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich die Fälle von Sportlern, die in jungen Jahren mit einem Herzstillstand zusammenbrechen, zu häufen scheinen?

Dr. Svenja Reich: Erst einmal: die Zahl ist nicht angestiegen. Die Fälle von Menschen, die plötzlich einen Herzstillstand erleiden, sind nur einfach präsenter in den Medien.
Und auch die Öffentlichkeit ist diesbezüglich sehr viel sensibler geworden. Vereine und öffentliche Einrichtungen haben jetzt oft einen AED (Automatisierter externer Defibrillator, Anmerk. der Redaktion) angeschafft. Auch in Erste Hilfe-Schulungen ist der Umgang mit AEDs inzwischen ein fester Bestandteil des Unterrichts. Und das ist auch gut so. Die Hemmschwelle, Hilfe zu leisten, wird dadurch immer kleiner, denn im Grunde kann jeder mit diesen halbautomatischen Defibrillatoren in der Notfall-Situation helfen. Die AED machen ja alles selber und geben Anweisungen. Man muss sie nur richtig anbringen. So können auch Laien bei einem kardiologischen Notfall effektive Ersthelfer sein. Wir sehen, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Einsatz eines AED deutlich steigt. Aber auch ohne Defibrillator kann jeder Leben retten, wenn er sich traut, mit der Reanimation anzufangen.
Darum: Trauen Sie sich das zu und fangen Sie im Notfall an zu reanimieren. Ist ein AED vorhanden, dann ist es umso besser. Setzen Sie ihn ein und warten nicht, bis ein Arzt eintrifft. Bis dahin vergehen wertvolle und lebensrettende Minuten!

Was bedeutet das gestiegene Bewusstsein für Hobbysportler? Wie sollten sie sich um ihre Herzgesundheit kümmern?

Dr. Svenja Reich: Leistungssportler ab dem Kadertraining kommen ohnehin einmal im Jahr zu einer Sporttauglichkeitsuntersuchung. Glücklicherweise zeigen Studien aber, dass auch viele Freizeitsportler und junge Menschen Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Es gibt ein gestiegenes Bewusstsein dafür, dass man sich um seine Gesundheit aktiv kümmern kann. Und mit einer guten Gesundheit nimmt gleichzeitig auch das Leistungsvermögen zu. Eine Win-Win-Situation. Ganz typische Anfragen sind die von Menschen, die sich als Hobbyläufer auf einen Marathon vorbereiten möchten. Oder Menschen, die nach langer Pause wieder in den Sport einsteigen wollen und erst einmal eine Definition ihre Status Quo haben möchten.
Wir führen ein sehr ausführliches Anamnesegespräch und erweitern dieses um eine Familienanamnese. Gibt es beispielsweise Fälle von plötzlichem Herztot in der Familie? Oder gibt es irgendwo einen Anhaltspunkt, dass wir genauer hinschauen oder uns Sorgen machen müssen? Dann führen wir ein EKG durch, in Ruhe und Bewegung. Zeigt das EKG Auffälligkeiten? Das alles klären wir ab, um das Risiko zu verringern, dass die Person irgendwann einmal als kardiologischer Patient bei uns erscheint.
In anderen Ländern wie z.B. Frankreich ist eine Sportuntersuchung übrigens Pflicht, um an einem Marathon teilnehmen zu dürfen.

Sie haben die Fortbildung „Sportkardiologie der Stufe 3“ absolviert. Was verbirgt sich dahinter?

Dr. Svenja Reich: Sportkardiologie der Stufe 3 ist eine Zusatzqualifikation der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Das ist unser Berufsverband als Kardiologe. Man hat festgestellt, dass wir in unserem Fachbereich Spezialisten brauchen, die sich mit dem Thema Sport auskennen. Die gängigen Kardiologen in Krankenhäusern können einen Stent einsetzen und operieren das Herz. Sie treffen immer auf Patienten, die eine akute kardiologische Erkrankung haben. Aber sie wissen nicht wirklich genau, wie die Belastung davor und/oder danach aussehen kann? Das übernehmen eher Sportmediziner. Und das alles muss zusammengeführt werden.

Die Voraussetzung für die Anerkennung der Zusatzqualifizierung Stufe 3 ist, dass man sowohl Kardiologe, als auch Sportmediziner ist. Außerdem muss eine bestimmte Zahl an unterschiedlichen Untersuchungen im Bereich der Leistungsdiagnostik erbracht werden. Durch die Anbindung an das Sportmedizinische Institut im medicos.AufSchalke sind die Voraussetzungen für die Kardiologen im medicos gut, die Anforderungen für die Zusatzqualifikation zu erfüllen. Daher haben wir alle notwendigen Nachweise erbracht und freuen uns, dass wir so auch speziell im sportkardiologischen Bereich zum Einsatz kommen dürfen.

Und wie definieren Sie Ihre Aufgabe als „präventive Kardiologin“?

Dr. Svenja Reich: Unsere Aufgabe ist es z.B. die Risikofaktoren ins Bewusstsein zu rufen: Ihr Blutdruck ist zu hoch, den sollten wir einstellen. Ihr Gewicht ist ein bisschen zu hoch. Wir setzen also nicht nur da an, die Schädigung zu entlarven, sondern wir sensibilisieren für Faktoren, die die Entstehung von Erkrankungen begünstigen und beraten, wie das Risiko reduziert werden kann.  Sport und Bewegung sind da wichtige Bestandteile.